Herzförmige Blätter und nierenförmige Bohnen

Ebikon, 20. Juli 2018 – Paracelsus ist seit rund 500 Jahren tot, seine Signaturenlehre hat überlebt. Ist sie zeitgemäss? Unsere Dozentin Marisa Brüllmann antwortet im Interview – begeistert.

«Raus aus dem Schulzimmer», rät Marisa Brüllmann, Drogistin und TEN-Dozentin, «ab in die Berge, ins Moor, auf den Balkon!» – da, wo Heilpflanzen wachsen, findet man den Zugang zu ihnen.

Marisa, was fasziniert dich an der Signaturenlehre?

Früher hatten die Menschen keine technischen Möglichkeiten, um Wirkstoffe nachzuweisen. Dennoch wussten sie schon enorm viel über die Pflanzen. Wie war das möglich? Durch ihre ausgezeichnete Beobachtungsgabe, das finde ich grossartig. Stell dir vor: Den Pflanzen wurden Kennzeichen mitgegeben, die der Mensch lesen kann. Ist das nicht genial?

Du bist Drogistin, glaubst du da nicht eher an Wirkstoffe und Doppelblindstudien?

In meiner Ausbildung zur Drogistin wurde Phytotherapie als klassische Heilpflanzenkunde unterrichtet. Da geht es natürlich um Wirkstoffe. Und doch bin ich schon im ersten Lehrjahr mit tollen Heilmethoden in Kontakt gekommen, deren Wirksamkeit sich nicht mit Studien belegen lassen: Spagyrik, Bach-Blüten oder Homöopathie. Diese Möglichkeit, andere Denkansätze zu verfolgen oder ein Thema aus einer anderen Perspektive als aus der schulmedizinischen zu betrachten, ist sehr spannend. Und für den Beruf als NaturheilpraktikerIn unerlässlich.

Andere Denkansätze, was meinst du damit?

Die Naturheilkunde zum Beispiel. Man betrachtet den Menschen, die Pflanzen auf eine Weise, die sich vom schulmedizinischen Denken unterscheidet. Mich interessieren die Zusammenhänge, in die der Mensch eingebettet ist: sein Umfeld, die Emotionen, der gesamte Kosmos sowie Einflüsse von aussen, positive wie auch negative.

Die Walnuss sieht dem menschlichen Gehirn ähnlich, also wird sie zum Beispiel bei Kopfschmerzen verwendet. Habe ich da eine verkürzte Sicht?

Dass ich mich in der Pflanzenwelt nach Organzusammenhängen umschaue, ist eine Variante. Es gibt auch herzförmige Blätter und nierenförmige Bohnen. Weitere Zusammenhänge zwischen dem Erscheinungsbild einer Pflanze und ihrer Wirkung erkenne ich an den Farben, den Prinzipien nach Paracelsus und der Beziehung zu den Planeten.

Wie finden AnfängerInnen diesen Zugang zu Pflanzen?

Offenheit. Wie für viele naturheilkundliche Methoden braucht es auch für die Signaturenlehre ein Umdenken. Man benötigt Offenheit, um eine andere Sichtweise einzunehmen – auf die Pflanzen, die Menschen und ihre Themen. Dieser Offenheit bedarf man, ganz egal, ob man die Signaturenlehre erst für sich entdeckt hat oder sie schon seit Jahren anwendet.

Die Intuition als Instrument der Signaturenlehre?

Genau, es geht darum, sich nicht nur auf die sichtbaren Merkmale zu konzentrieren. Ich rieche an der Pflanze, zerreibe ihre Blätter zwischen den Fingern. Oder ich koste die Pflanze: Wie schmeckt sie auf der Zunge? Im Kurs behandeln wir natürlich auch Theorie. Was sind Signaturen und wie schliesse ich daraus auf die Wirkung. Zum Üben rate ich: Raus aus dem Schulzimmer!

Also ab in die Natur?

Unbedingt, geh raus in die Umgebung, in der die Heilpflanze wächst: vor deine Haustür, ins Gebirge oder in den Wald. Beschäftige dich mit der Pflanze: Wo wächst sie? Was fühlst du, wenn du an diesem Ort verweilst? Botanische Gärten sind ein gutes Übungsfeld. Und Kräuterwanderungen, am besten einmal zu jeder Jahreszeit, so entdeckt man die meisten Pflanzen und erkennt ihre Entwicklung.

Helfen botanische Kenntnisse oder hemmen sie die Intuition?

Sie sind von Nutzen, für mich ganz klar, und ich finde sie sehr, sehr wichtig. Ohne botanische Kenntnisse erkenne ich zwar, dass zum Beispiel Belladonna, die Tollkirsche, dem Auge ähnlich sieht. Doch ich muss wissen, wie ich mit dieser hochgiftigen Pflanze umgehe. Schon der Verzehr weniger Beeren kann tödlich sein. Ohne Grundwissen passieren hier Fehler und die Pflanzen werden falsch angewendet. Für das Verständnis der Signaturenlehre ist es hilfreich, wenn sich jemand mit Pflanzenfamilien und Wirkstoffen auskennt.

Heute Morgen am Rotsee habe ich blühenden Löwenzahn entdeckt, was sagt mir diese Pflanze?

Das Gelb der Blüte verbinden wir mit Wärme, mit Licht oder Freude. Gelbe Wurzeln, Milchsäfte und Blüten weisen im Allgemeinen auf die Leber hin. Da sind wir wieder bei den Organzusammenhängen. Der Löwenzahn gibt viele Zeichen, die auf die Sonne deuten: Die gelben Köpfe schweben in der Wiese wie kleine Sonnen. Dann der goldene Strahlenkranz der Blütenblätter. Und er schliesst seine Blüten, wenn es regnet, auch eine typische Sonnensignatur. Sonnenpflanzen sind oft gelb. Sie wirkend wärmend, jedoch nicht heiss, verdauungsfördernd und vitalisierend.

Die Sonne – was haben denn Planeten mit der Signaturenlehre zu tun? Und Sternzeichen?

Oh, das ist eine heikle Frage, hier besteht Verwechslungsgefahr! Es geht weder um Astrologie noch Horoskope in ihrer gebräuchlichen Form. In der Signaturenlehre stützen wir uns auf die Astronomie, wie sie schon Paracelsus beigezogen hat. Er betrachtete das astronomische Sternbild, also die Konstellation der Sterne und Planeten zum Zeitpunkt der Geburt. Die Stellung des eigenen Tierkreiszeichens zu den Planeten gibt wichtige Hinweise auf die Konstitution. Mir als Therapeutin hilft das, die richtigen Pflanzen für PatientInnen auszuwählen. Nämlich diejenigen, die zu den Beschwerden und der Konstitution passen.

Vielen Dank, Marisa.

Übrigens, Luzia, es gibt eine App, die simuliert den Sternenhimmel zu jedem beliebigen Datum. Mit dieser Astronomie-App kann man keine Heilkunde betreiben. Doch richtig genutzt und kombiniert mit den vertieften Kenntnissen aus dem Unterricht anwendet, kann man dadurch den Einstieg in eine sehr individuelle Behandlungsweise finden.

Marisa Brüllmann

Marisa ist Drogistin und hat schon ein halbes Jahr nach ihrem Lehrabschluss die Ausbildung zur dipl. Naturheilpraktikerin TEN begonnen. Sie arbeitet als Naturheilpraktikerin in Niederrohrdorf (AG) und St. Gallen. www.naturvitamed.ch

Marisa unterrichtet Arzneimittel-Sicherheit & Toxikologie, Heilpflanzen Zubereitung - Pao Zhi und Humoralmedizin-Diagnostik: Zunge, Puls, Harn.
Der nächste Kurs Signaturenlehre findet im Juni 2020 statt. Ein Einführungsmodul ist Phytotherapie Basis.

Mit Kräutern zum eidg. Diplom:

https://www.heilpraktikerschule.ch/newsroom/news-detail/news/2018/07/20/herzfoermige-blaetter-und-nierenfoermige-bohnen